Antisemitismus am Arbeitsplatz – Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten

Antisemitismus am Arbeitsplatz – Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten

Antisemitismus am Arbeitsplatz gilt es zu erkennen, um ihm konsequent entgegentreten zu können. Das Identifizieren einer Äußerung als antisemitisch ist schwieriger, als es auf den ersten Blick erscheint. Auch die konsequente Positionierung dagegen ist unter Kolleg*innen nicht unproblematisch. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob offener Antisemitismus arbeitsrechtliche Konsequenzen haben kann. Fachliche Beratung ist daher in den meisten Fällen dringend erforderlich.

Antisemitismus und Israelkritik

Wie schwierig die Unterscheidung zwischen diskriminierendem Antisemitismus und nicht-diskriminierender Israelkritik ist, zeigt ein Beispiel aus dem Oktober 2023. Nach brutalen Angriffen der radikal-palästinensischen Hamas auf Israel bereitet die israelische Armee einen Einmarsch in den Gaza-Streifen vor und fordert die dortige Zivilbevölkerung auf, dessen nördliches Gebiet in kürzester Zeit zu verlassen (Stand: 15. Oktober 2023). Betroffen sind über 1,1 Millionen Einwohner. Die UNO kritisiert das israelische Vorgehen scharf, es kann nur in einer humanitären Katastrophe enden. Westliche Staaten stärken gleichzeitig Israel solidarisch den Rücken, während es in ihren Städten pro-israelische und pro-palästinensische Demonstrationen gibt. Es ist nicht der erste Einmarsch des israelischen Militärs nach Gaza. Ähnliche Situationen gab es zuletzt 2006 und 2015, auch sie wurden von Solidaritätsbekundungen einerseits und Kritik andererseits begleitet. Der Konflikt zwischen Palästinenser*innen und Israelis im geografischen Gebiet Palästina, in dem seit 1948 der Staat Israel liegt, ist inzwischen weit über 100 Jahre alt. Die ersten Jüd*innen zogen schon seit den 1880er Jahren in die Region, bis 1933 hatten sich 200.000 von ihnen dort niedergelassen und in Jischuw (vorstaatlichen Strukturen) organisiert. Eine weitaus größere Einwanderungswelle folgte nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland ab 1933. Schon 1917 hatten die Briten, die das Gebiet besetzt hielten, in der Balfour-Deklaration dort die Gründung einer „Heimstätte für das Volk Israel“ versprochen, 1922 übertrug ihnen der Völkerbund auch offiziell das Mandat dafür. Die Vorgeschichte des Versuchs einer Staatsgründung reicht sogar noch weiter zurück. Unter dem Eindruck des Holocaust beschloss 1947 die erst zwei Jahre zuvor gegründete UNO, dass auf dem Gebiet von Palästina zwei Staaten entstehen sollen: Israel und Palästina. Die Israelis gründeten 1948 ihren Staat, die Palästinenser*innen warten bis heute darauf. Es gab seit 1948 mehrere Kriege der Nachbarstaaten gegen Israel, den ersten schon einen Tag nach der Staatsgründung, und zahllose Versuche, die Zwei-Staaten-Lösung endlich mit der Gründung eines Palästinenserstaates zu vollenden. Diese scheiterten bis heute (2023). Dass der Frust und Zorn der Palästinenser*innen daher Terrororganisationen wie der Hamas Zulauf beschert, ist zumindest verständlich. Terror ist andererseits durch nichts zu rechtfertigen. In dieser konfliktbeladenen Situation müssen Menschen in westlichen Staaten eine eigene Position finden, in die sich latenter und offener Antisemitismus mischen kann.

Was ist Antisemitismus?

Antisemitismus ist uralt, es gab ihn nachweislich schon in vorchristlicher Zeit. Seine jüngeren Wurzeln hat er in der Diaspora, also der Zerstreuung der Jüd*innen über die ganze Welt seit dem Untergang ihres ersten Reiches, das Saul vor rund 3.000 Jahren gegründet hatte. Ihm folgten die Könige David und Salomo (Sohn des David). Das Reich bestand längstens bis zur Einnahme seiner Hauptstadt Jerusalem durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. Sein genauer historischer Bestand lässt sich allerdings nicht exakt durch archäologische Funde oder Schriften belegen. Nach seinem endgültigen Untergang wurden die über die Welt verstreuten Jüd*innen vielfach Kaufleute, weil sie damit in der Diaspora am besten überlebten. Ihnen haftete fortan der Ruf des Wucherers an. Da sie ohne eigenen Staat als entwurzelt galten, eigneten sie sich für diverse Katastrophen der Geschichte seit dem Jahr 0 als Sündenböcke. Man gab ihnen die Schuld für die Pest, für Dürren und Konflikte, immer wieder kam es zu Pogromen gegen ihre Stadtviertel. Wohin der historisch verfestigte Antisemitismus führen kann, zeigte sich schließlich im Holocaust, einem beispiellosen Jahrtausendverbrechen. In Deutschland gehört seit der Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 eine pro-israelische Haltung zur Staatsräson, um vergleichbaren Tendenzen wie im Nationalsozialismus konsequent entgegenzutreten. Die neue ideologische Rechte allerdings unterstellt den mehrheitlich israelfreundlich eingestellten Deutschen einen „Schuldkult“ wegen des Holocaust, was offenem und latentem Antisemitismus auch am Arbeitsplatz Vorschub leistet. Eine andere Wurzel hat der Antisemitismus auch hierzulande bei der arabischstämmigen und/oder muslimisch geprägten Bevölkerung wegen des ungelösten Konflikts mit den Palästinensern, die immer noch ohne eigenen Staat überwiegend im Gaza-Streifen und im Westjordanland leben. Die beiden Gruppen, von denen hauptsächlich antisemitische Äußerungen ausgehen – rechtsextrem eingestellte Deutsche/Europäer und der Teile der muslimischen Bevölkerung – haben durchaus sehr verschiedene Motive für ihren Judenhass, bedienen sich aber derselben Stereotype. Juden sind demnach habgierig, verschlagen und elitär. Sie unterwandern die Weltelite und streben nach der Weltherrschaft. Als Beleg für solche Thesen dienen beispielsweise Feindbilder wie der ungarisch-amerikanische Investor George Soros, der jüdische Wurzeln hat und den sogar die rechtskonservative ungarische Regierung angreift.

Wie zeigt sich Antisemitismus am Arbeitsplatz?

Antisemitismus am Arbeitsplatz kommt in der Regel beiläufig daher und kann sich hinter einer neuerdings sogar von der UNO mitgetragenen Israelkritik verbergen. Der grundlegende Duktus lautet: „Das darf man ja wohl noch sagen.“ Es gibt allerdings eindeutige Symptome für echten Antisemitismus: 

  • Die Äußerung enthält ein judenfeindliches Stereotyp wie „kein Wunder, die gierigen Juden wollen immer mehr“.
  • Der Antisemitismus am Arbeitsplatz ist mit einer Verschwörungstheorie gekoppelt. Um beim jüngsten Beispiel zu bleiben: Es kursiert tatsächlich das Gerücht, der israelische Geheimdienst habe die Massaker in den Grenzorten Kfar Azar, Aschkelon und weiteren selbst inszeniert, um einen Vorwand für einen Schlag gegen die Hamas zu finden.
  • Die Äußerung leugnet wahlweise offen den Holocaust, was in Deutschland eine Straftat ist, oder begrüßt ihn gegenteilig sogar („hätten sie damals nur alle Juden vergast“). 
  • Auch der Verweis auf rechtsextreme Publikationen wie die Junge Freiheit oder gar Zitate aus diesen mit negativem Bezug zu Israel belegt eine verfestigte antisemitische Haltung.


Sehr schwer ist dem Antisemitismus am Arbeitsplatz zu begegnen, wenn er von muslimischen Kolleginnen und Kollegen mit Verwandten im Gaza-Streifen kommt, die unter dem israelischen Gegenangriff leiden. Sehr leicht ist wiederum die Abwehr einer antisemitischen Äußerung über eine Kollegin oder einen Kollegen mit jüdischen Wurzeln. Solche Äußerungen verbietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (umgangssprachlich Antidiskriminierungsgesetz). Vorgesetzte haben darauf mit einer Abmahnung und im Wiederholungsfall mit der Kündigung zu reagieren. Juristisch erfolgreich ist dies aber nur, wenn der Antisemitismus am Arbeitsplatz stattfindet und durch Zeugen belegt werden kann. Dass jemand ganz allgemein eine antisemitische Einstellung hat, ist kein Kündigungsgrund, wenn er/sie diese Einstellung im beruflichen Kontext nicht vor sich herträgt.

Antisemitismus begegnen

Die wichtigste Reaktion auf Antisemitismus am Arbeitsplatz ist eine umgehende eigene Positionierung. Das erfordert weniger Mut, als die meisten Menschen glauben. Zu unterscheiden ist zwischen den beiden genannten Gruppen der #1Deutschen/Europäer mit rechtsextremer Einstellung und der #2 muslimischen/arabischstämmigen Kolleginnen und Kollegen. Als Berater schlage ich folgende Differenzierung vor:

 

  • #1: Rechtsextremen darf bedenkenlos entgegnet werden, dass man selbst Antisemitismus ohne Wenn und Aber ablehnt. Und Punkt. Rechtsextreme, sofern sie charakterlich gemäßigte Personen sind, reagieren auf so eine Antwort praktisch niemals aggressiv. Die neue Rechte will die Gesellschaft eher unterwandern und sie von den eigenen Positionen überzeugen, damit ihre Parteien bei den Wahlen Erfolg haben. Dem lässt sich nur widerstehen, indem die eigene Position verdeutlicht und, so weit dies möglich ist, die rechtsextreme Person von ihrer Irreleitung überzeugt wird. Auch gegen Antisemitismus ist ein Kraut gewachsen.
  • #2: Muslimische/arabischstämmige Kolleginnen und Kollegen mit einem Bezug zur palästinensischen Bevölkerung könnten auf eine Gegenreaktion gegen ihren Antisemitismus verbittert reagieren. Ihnen ist zu entgegnen, dass Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs durchaus erlaubt ist, man selbst aber jegliche antisemitische Stereotype ablehnt. Der aktuelle Konflikt hat politische Ursachen, zu denen unter anderem die bis heute versäumte Staatsgründung Palästinas gehört. Über die Ursachen lässt sich trefflich diskutieren. Blanker Judenhass gehört aber nicht in diese Diskussion. Vielleicht hilft der Verweis darauf, dass im Staat Israel auch 1,454 Muslime leben (bei einer Gesamtbevölkerung von 9,793 Millionen mithin ein Anteil von über 14,8 %). 

Wenn der Antisemitismus zu einer strafbaren Äußerung führt, die vorrangig die Holocaustleugnung betreffen dürfte, ist auf diese Strafbarkeit und mithin auf die Möglichkeit einer Anzeige zu verweisen. Zunächst wäre der Vorgesetzte zu informieren.

Einzelfälle sind aber immer differenziert zu betrachten. Sie wünschen eine Beratung zu diesem Thema? Kontaktieren Sie mich!

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