Das menschliche Gehirn sucht ständig nach Mustern, da diese helfen komplexe Vorgänge zu verstehen. Hscöht wsrelcahhinich kneönn Sie dsieen Txet leesn, owbhol die Bthseucban ihnenrlab der Wertör vuahctsret wedorn snid. So wie das Gehirn hier Muster ausfindig macht – der erste und letzte Buchstabe muss an der richtigen Stelle eines Wortes stehen – so sucht es auch bei komplexen Themen akribisch nach Mustern, die es ihm erleichtern, Dinge zu verstehen – also: einfachen Lösungen.
Bei der Corona-Krise 2020 waren in kürzester Zeit die unterschiedlichsten Gerüchte und Verschwörungsmythen im Umlauf. Ein „Nicht-Wissen“ des genauen Ursprungs konnte es für viele nicht geben. Für die einen war Corona die Strafe Gottes, für die anderen ein amerikanisch-jüdischer Komplott. In Russland wurde verbreitet, dass es sich um einen US-Biowaffenangriff handeln würde und in den USA wurden die Demokraten und Bill Gates verantwortlich gemacht. Insbesondere rechte Verschwörungserzähler*innen schoben ihrem ständigen Feind die Schuld zu. In Deutschland hat sich in Kürze eine neue, verschwörungstheoretische Partei gegründet, die ebenfalls gegen Gates wettert und verbreitet, dass man sich auflehnen müsse, da Jens Spahn und die Bundesregierung die Bevölkerung zwangsimpfen will. Aufgesprungen ist auch die AfD mit ihrer Kampagne "Freiheit statt Zwang", mit der sie versucht, gleiche Falschinformationen zu verbreiten.
Das Schuldzuschieben hat den Vorteil, dass es einen Schuldigen gibt. Wenn es diesen nicht gibt, macht das den Menschen Angst. Wo Gutes ist, muss Böses sein. Und da man selbst gut ist, muss „der Andere“ böse sein. Die Menschen streben viel besser nach dem Himmel, wenn es eine Hölle gibt. Finanziell hat sich das für die Kirche und Versicherungen schon immer gelohnt. Wieso einen Gott verehren, wenn es keinen Teufel gibt? Henne oder Ei? Entweder Oder – nur bloß nichts dazwischen!
Solange wir an dieses Schwarz-Weiß Modell glauben, müssen wir uns nicht auf Zufälle einlassen, die eine Welt unkontrollierbar werden lassen. Solange es einen Feind gibt, können wir diesen bekämpfen. Wir entgehen so der Ohnmacht und ermächtigen uns selbst über eine konstruierte Wahrheit, die uns eine Sicherheit gibt. Je unsicherer wir uns fühlen, desto höher ist die Gefahr, dass wir uns in Verschwörungstheorien verstricken. Wir bleiben in irgendeiner Weise handlungsfähig, weil wir meinen, den Zufall zu durchschauen, das Chaos zu überblicken. Eigentlich setzen wir nur eine Brille auf, bei der 75% des Sichtfeldes abgeklebt sind und die 25% uns nur die Informationen zeigen, die uns in unserem Denkmuster bestätigen.
Nicht zuletzt führt dieses dann zu einer erweiterten Identitätsbildung. Wer das Chaos durchschaut, gehört zu den Wissenden, somit zu der Elite. Social Media gibt zusätzlich die Möglichkeit der weltweiten Vernetzung und zum Teilen von Informationen. Man ist mit seiner Idee nicht mehr alleine, durch das verstärkte Gespräch in den internen Social Media Gruppen isolieren sich die Verfechter durch selbstkreierte Pseudowissenschaften. Die „heimliche Elite“ versucht nun, die Unwissenden „aufzuklären“ und den Feind zu bekämpfen. Es wird einander eingeredet, dass dieser Überall lauert und wartet, auch um einen selbst wieder umzupolen. Und auf einmal werden Fernsehköche und Popsänger zu anerkannten Virologen und Epidemiologen der Szene.
Wenn Sie gegen eine verschwörungstheoretische Meinung argumentieren, wird Ihr Gesprächspartner Sie schnell als Unterstützer des Feindes wahrnehmen. Er wird somit nicht auf Ihre Informationen eingehen, sondern blocken und sich selbst in seiner Meinung bestätigt fühlen.
Wenn Sie über seine Ansicht lachen, wird er sich angegriffen fühlen und zurückziehen. Er kann sich auf Einwände, Fragen oder ein Gespräch mit Ihnen nicht mehr einlassen.
Die Anzahl derer, die an Verschwörungstheorien glaubt, ist hoch. Passen Sie auf, dass Sie nicht etwas öffentlich andiskutieren, was Ihnen dann aus dem Ruder laufen könnte und sich dadurch Verschwörungserzähler*innen finden. Diese stärken sich gegenseitig und Sie werden es sehr schwer haben, dies wieder einzufangen. Sie grenzen sich somit selbst aus den neuen Verbündeten aus.
Je mehr die Person isoliert wird, desto weniger andere Positionen, Meinungen und Haltungen kann sie kennenlernen. Sie wird sich „einigeln“ und ihre Ansichten ohne Kontakt zu anderen Menschen verstärken.
* Durch technische Hindernisse wurde an dieser Stelle nicht direkt gegendert, ist aber ausdrücklich so gemeint.