Familie - das ist der erste Ort, an dem wir Werte lernen und der Ort, an dem es uns am meisten verletzt, wenn diese gebrochen werden.
In den letzten Jahren hatte ich nicht nur immer wieder eine Beratung von Schulen, Kitas, Vereinen, Firmen, Kommunen, etc., sondern auch einige, die im direkten Familiensetting stattfanden, bzw. damit zu tun hatten. Wenn Rechtsextremismus in der Familie vorkommt, also bspw. rassistische Aussagen von Familienmitgliedern vertreten werden, oder rechtsextreme Ansichten ausgesprochen werden, führt dies oft zu heftigen Spannungen und kann tiefe Gräben nach sich ziehen.
Rechtsextremismus in der Familie ist nach meiner Erfahrung immer eine sehr werteorientierte Herausforderung. Aussagen wie "Was habe ich falsch gemacht, dass er*sie so geworden ist?" sind da keine Seltenheit. Wir müssen uns klar machen, dass wir Rechtsextremismus in Familien nicht einfach mit drei logischen Argumenten und guten Fakten entkräften können. Stattdessen müssen wir die Emotionen und die emotionalen Beziehungen zueinander mit berücksichtigen. So ist es in manchen Fällen möglich, doch noch eine Veränderung heraus aus der rechtsextremen Szene zu erwirken.
Wenn sich Eltern melden, die sich um die Situation ihrer Kinder sorgen, ist der Druck zu dieser Zeit meist schon sehr hoch. Oft wird der Ruf nach Unterstützung mit eigenem Versagen gleichgestellt, was ich fachlich nicht bestätigen kann. Problematisch sind diejenigen, die sich keine Hilfe suchen.
Versuchen Sie herauszufinden, was Ihr Kind grade tatsächlich sucht. Ist es auf der Suche nach einer Identität, nach einer Figur, die Vater oder Mutter ersetzt? Oft geht es Kindern und Jugendlichen darum, eine klare Aufgabe, einen Platz zu haben, wo sie hingehören. Sie wollen wissen, wer sie sind.
Dass Jugendliche sich austesten und herausfinden möchten, wer sie sind, ist erstmal gut. Wichtig ist viel eher, welche Grundwerte Sie Ihrem Kind in den letzten Jahren mitgegeben haben. Wenn Ihr Kind demokratisch aufgewachsen ist, Liebe, Wertschätzung und Anerkennung erfahren hat, dann läuft es vielleicht mal in eine falsche Richtung, um zu schauen, was da ist - wird sich aber, wenn es hart auf hart kommt, eher nicht dafür entscheiden, jemand anderen zu verletzen oder es anschließend eher bereuen.
Wenn Sie Ihrem Kind sagen, dass Sie seine neuen Freunde nicht mögen, kämpfen Sie gegen diese an. Das kann ziemlich lange dauern, hart sein und dazu führen, dass Sie verlieren. Versuchen Sie eher, bei den Werten zu bleiben, die Sie immer an Ihrem Kind geschätzt haben. Fragen Sie nach, wofür die Freunde stehen, was ihnen wichtig ist, welche Werte, Positionen und Haltungen sie haben, nicht nur zueinander, auch gegenüber anderen. Fragen Sie neugierig, ob das die Haltung ist, die Ihr Kind ernsthaft vertreten möchte und woher auf einmal die neuen Erfahrungen kommen.
Fragen Sie Ihr Kind, ob es das Gefühl kennt, unfair behandelt zu werden - es kennt es. Fragen Sie auch, ob Ihr Kind jemand sein möchte, der anderen dieses Gefühl vermittelt. Wenn nicht, was hätte das für eine Konsequenz bezogen auf seine Aussagen und die seiner Freunde? Fragen Sie nicht als Vorwurf, sondern neugierig. Zeigen und sagen Sie Ihrem Kind, dass Sie es sehen.
Hatten Sie als Kind und Jugendliche*r hin und wieder Ärger mit Ihren Eltern? - Gut! Wie standen Sie in diesen Momenten zu Ihren Großeltern? Bei den durften Sie wahrscheinlich immer etwas mehr, fühlten sich freier und verstandener. Omas & Opas sind meistens etwas "cooler", was völlig normal ist. Jederzeit bedenken sollte man jedoch, dass Großeltern in der Regel einen großen Einfluss auf das Werteverständnis und die Haltung der Enkelkinder haben. Insbesondere in Stresssituationen suchen Kinder und Jugendliche nach Verbündeten, beispielsweise den Großeltern, deren Verhalten sie teilweise übernehmen. Dies geschieht im Positiven wie im Negativen. Somit haben wir mittlerweile einige Fälle, bei denen Kinder von Rechtsextremisten sich gegen "Rechts" positioniert haben, deren Kinder sich aber wieder zu dieser Szene hingezogen fühlen. Wichtig ist somit, Großeltern immer als relevante Gestalter in Hinblick auf die Persönlichkeit und auf die Einstellung zur Politik mit im Blick zu haben. Auch wenn es so scheint, als ob gar nicht so viel direkter Kontakt besteht, bleibt die Verbindung.
Aus diesem Grund sollten wir bei Rechtsextremismus in Familien das ganze System Familie betrachten - und auch da nicht nur die biologische, sondern auch die Familie nach Wahl.