Stellvertreterkonflikte im Team

Der Strauch

...oder das Team

Supervision Fallsupervision Teamsupervision Jugendhilfe Beratung

Vor einiger Zeit wurde ich für eine interne Fortbildung zum Thema "Jungenarbeit" in eine Einrichtung für Kinder und Jugendliche eingeladen. Das Team bestand aus 12 Frauen. Im Vorfeld wurde mir mitgeteilt, dass man gerne mehr insbesondere für die Jungs tun würde, da sie glaubten, dass diese manchmal zu kurz kommen würden. 
Als ich dort ankam, wurde ich freundlich begrüßt. Wir setzten uns und ich stellte mich vor. Ich war etwas irritiert, da drei der Kolleginnen abgetrennt von den Anderen saßen. Die verschränkten Arme der Kolleginnen in Kombination mit deren Gesichtsausdrücken, zeigte mir, dass irgendwas nicht in Ordnung sei. Ich bat um eine Vorstellungsrunde mit dem Wunsch, etwas über sich selbst zu sagen, zu äußern, was man heute gerne mitnehmen würde und was einen heute oder vor Kurzem im Kontext der Arbeit genervt hat. 
Nachdem die Vorstellungsrunde durch war und sich alle der Aussage  "Wir möchten unsere Jungs besser verstehen" anschlossen haben, zudem die letzte Frage gekonnt von allen ignoriert wurde, habe ich dort nochmal nachgehakt. Ich fragte, warum dieses  Thema ausgelassen wurde. Es wurde teils gelächelt, mit den Augen gedreht, geseufzt und gestöhnt. Eine Kollegin sagte, dass es grade etwas schwierig sei, man aber ja heute nicht deswegen zusammengekommen wäre. 
Ich dachte einen kurzen Moment nach und sagte "Ok, dann möchte ich Sie bitten, eine kleine Aufgabe zu bearbeiten, damit wir ins Thema kommen: 
Was brauchen Ihre Jungs 
a) grundsätzlich
b) um zu lernen?"
Wir sammelten die Punkte an zwei Flipcharts, anfangs etwas holprig, aber nach und nach kamen einige Ideen. Ich sagte, dass ich mir die Frage "a" zu dem Grundsätzlichen später anschauen möchte, mich zu Beginn gerne mit "b", der Frage, was Jungs brauchen um zum lernen, befassen möchte. Es wurde einstimmig genickt, worauf ich eine weitere Frage stellte: "Darf ich Sie etwas ärgern?"
Dies führte zwar zu Irritation, wurde dann aber etwas belächelnd und verunsichert angenommen. Ich strich bei der Frage "Was brauchen Ihre Jungs um zu lernen?" "Ihre Jungs" und "lernen" durch und ersetzte es durch "Sie" und "arbeiten", sodass die Frage nun "Was brauchen Sie um zu arbeiten?" lautete. Ich fragte, ob das, was sie zu Ihren Jungs geschrieben haben, auch auf Sie selbst übertragbar wäre. Es wurde gegrinst und tief durchgeatmet, auch ein wenig gelächelt. Alle Punkte, die die Kolleginnen dazu gesammelt hatten, ließen sich hervorragend auf sie übertragen, dort standen Sachen wie:
- Spaß am Lernen
- gute Atmosphäre 
- gutes Material
- ausgeschlafen sein
- mit den Mitschülern (also Kolleginnen) gut klar kommen
- gut mit den Lehrkräften (also Vorgesetzten) klar kommen
- Bedürfnisse müssen gesehen werden
etc.

Ich sagte, dass wir gerne auch weiterhin die Situation und Stimmung ignorieren könnten, ich dann aber glaube, dass der Tag nicht nur keinen Spaß machen wird, sondern auch niemand was mitnehmen kann, da man nur genervt davon ist, da sein zu müssen. (Kurzer Einschub: Ich würde mich nicht als penetrant, sondern eher als sehr neugierig beschreiben, das hört sich besser an ;-))
Ich schlug vor, dass wir eine kleine Pause machten, verknüpft mit einer kleinen Aufgabe. Ich bat darum, dass jede Person sich eine Karte nimmt und nur ein Wort drauf schreibt, was sie derzeit als schwierigstes Thema sehen würde, einen Begriff, bei dem nicht mir, aber für jedem im Team sofort klar wäre, worum es ginge. Wichtig: nur ein Wort.
Ich versicherte, dass nur ich die Karten lesen würde, sodass anhand der Schrift nicht abgeleitet werden könne, wer was schrieb. Kurz vor Ende der Pause schaute ich mir die Karten an und las auf sieben der zwölf Karten "Strauch", auf den anderen was ähnliches wie "Beet" oder "Blumenbeet", was mich sehr irritierte. Wir kamen wieder zusammen und ich sagte, dass es sehr schön sei, dass sie ein verbindendes Thema miteinander haben und ich mich freuen würde, den Strauch kennenlernen zu dürfen. 
Wir gingen nach draußen in den Hof, wo mir ein Strauch vorgestellt wurde. Dieser sah ziemlich mitgenommen aus, was ich zum Ausdruck brachte, indem ich sagte, dass er so aussähe, wie ich die Teamsituation einschätzen würde. Daraufhin wurde gelacht, es bejaht und genickt. Eine Kollegin erzählte, dass das Team darüber uneins sei, ob die Kinder und Jugendlichen in diesem Strauch/Gebüsch spielen dürften oder nicht. Die einen meinten, dass es ok wäre, da der Strauch sowieso schon hinüber wäre, die anderen fanden, dass die Kinder und Jugendlichen einen besseren Umgang mit Pflanzen lernen sollten und dies somit nicht erlaubt sein solle. "Ist das der Grund für die Situation im Team?" frage ich. Einheitliches nicken und auf den Boden starren. Ich konnte mir das lachen nicht ganz verkneifen, fragte dabei weiter, wie lange es diesen "Streit" darüber denn schon gäbe, was mir mit 2 -3 Jahren beantwortet wurde. Nun war ich erstmal sprachlos. 
Ich fragte, wie viele Jahre der Strauch noch dafür herhalten müsse, damit das Team nicht miteinander reden müsse und ob er, wenn es ihn nicht mehr gibt, von einem anderen Strauch ersetzt werden würde oder ob man sich dann doch ins Gespräch traue. Ich wurde verwundert angesehen und fragte weiter nach: "Was machen Sie, wenn der Strauch weg ist?" Es wurde, auch wenn es etwas dauerte, klar, dass es nicht um den Strauch geht, sondern um Machthoheiten innerhalb des Teams. Es gab zwei Fronten und jede neue Kollegin hatte sich zu entscheiden, auf welche Seite sie geht. Wir stiegen in einen langen Teamprozess ein (ca. 1,5 Jahre), der aufzeigte, dass der pro-Strauch-Pol sich übergangen fühlte, als die Leitungsposition neu ausgeschrieben wurde und sie sich als eigentliche Leitung sah. Dadurch, dass sie es nicht geworden ist, versuchte sie eine verdeckte Leitungsposition einzunehmen, was zu heftigen Spannungen innerhalb des Teams führte. Nachdem dies aufgedeckt und klare Rollen geschaffen wurden, fand das Team wieder zueinander und konnte sich gut ergänzen. 


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