Nicht erst die Ermordung des Schwarzen US-Amerikaners George Floyd im letzten Jahr hat die Diskussion um strukturellen Rassismus aufflammen lassen – sie hat sie nur weiter befeuert und an die Allgemeinheit herangetragen. Denn nicht nur in den USA, sondern auch bei uns in Deutschland und in anderen europäischen Ländern ist struktureller Rassismus immer wieder ein Thema. Im Gegensatz zu Alltagsrassismus tut man sich beim strukturellen Rassismus jedoch etwas schwerer in der Definition und vor allem in der Feststellung rassistischer Strukturen. Ich möchte heute erklären, was es mit strukturellem Rassismus auf sich hat und was wir dagegen tun können.
Eine Definition – was ist struktureller Rassismus?
In Abgrenzung zu Rassismus oder Alltagsrassismus ist struktureller Rassismus abstrakter und deshalb häufig schwieriger zu verstehen. Bei strukturellem Rassismus geht es um rassistische Entscheidungsabläufe und Strukturen – Strukturen, die dafür sorgen, dass zum Beispiel Schwarze Menschen oder Muslime benachteiligt werden. Da struktureller Rassismus so abstrakt ist, äußert er sich nicht direkt in rassistischen Aussagen. Zum Teil ist denjenigen, die strukturell rassistisch sind, nicht einmal bewusst, dass sie sich gerade rassistisch verhalten – einfach, weil die gewohnten Strukturen auf den ersten Blick nicht den Anschein machen, rassistisch zu sein. Diese Tatsache macht den Umgang mit dem Thema so komplex. Ein gutes Beispiel hierfür sind Schulbücher. Der Großteil der Schulbücher in Deutschland ist auf (meist weiße, christliche) Schüler*innen ausgelegt, die in Deutschland aufgewachsen sind und Deutsch als erste Sprache erlernt haben. Kulturen und Religionen wie der Islam werden als fremde Religion gelehrt, die Probleme und Strukturen der Kultur bewertet. Muslimische Schüler*innen, für die das Christentum andersherum die fremde Religion ist, werden so strukturell ausgegrenzt.
Haben wir in Deutschland wirklich Probleme mit strukturellem Rassismus?
Das eben erwähnte Beispiel zeigt: Auch Deutschland zeigt strukturell rassistische Tendenzen. Kinder, die zum Beispiel nicht mit Deutsch als Erstsprache aufwachsen, spüren diese Auswirkungen oft ihre gesamte schulische Laufbahn. Schließlich wird schon in der vierten Klasse entschieden, welchen Bildungsweg Kinder gehen können – Schüler*innen, die noch keine perfekten Deutschkenntnisse haben, erhalten deshalb nicht nur häufiger keine Empfehlung für das Gymnasium, sondern schneiden auch oft in der allgemeinen Bewertung schlechter ab. Auch in Fächern, die eigentlich nichts mit der Sprache zu tun haben sollten.
Struktureller Rassismus und Diskriminierung zeigt sich jedoch auch im Erwachsenenalter noch – zum Beispiel in Kontrollen der Polizei. Racial Profiling ist ein Thema, das die Gemüter nicht nur in den Medien immer wieder zum Kochen bringt. Kontrollen dürfen nicht anlasslos anhand von äußeren Merkmalen wie Hautfarbe oder Haarfarbe durchgeführt werden – denn Racial Profiling ist in Deutschland verboten. Dennoch erleben auch hier immer wieder Menschen eine Andersbehandlung aufgrund ihres Aussehens. Blicken wir noch einmal in die USA, zeigt sich schnell, wie Racial Profiling Rassismus und Diskriminierung begünstigen und stärken kann. Die Nachteile, die besonders Schwarze gegenüber Weißen haben, zeigen sich dort sehr deutlich.
Weitere Beispiele gibt es bspw. bei der Frage nach Wohnungsvergaben - oft erhalten Menschen mit "deutschem" Namen eher eine Wohnung als Menschen mit bspw. "türkischem" Namen, bei Jobs ist es ähnlich.
Wir könnten theoretisch ein Raster aufbauen, wer es in Deutschland besonders leicht / schwer hat. Bei der Frage, wer eher einen Arbeitsplatz erhält, könnte man Fragen:
Mann oder Frau?
helle oder dunkle Hautfarbe?
Christlich oder Muslimisch?
Mit oder ohne Behinderung?
Hetero- oder Homosexuell?
Klein oder Groß?
Dick oder Dünn?
30 Jahre oder 70?
Staatsangehörigkeit deutsch oder ???
Im Schnitt werden wir feststellen, dass eher deutsche, 30 jährige, hellhäutige, christliche, heterosexuelle, nicht-Behinderte, große und schlanke Männer bessere Chancen haben als andere.
(Mit dieser "Aufstellung" soll nicht gesagt werden, dass es ein entweder oder gibt, sondern nur eine Verdeutlichung aufgezeigt werden, dass wir keine Chancengleichheit in Deutschland haben.)
Wie können wir strukturellem Rassismus entgegentreten?
Der Begriff struktureller Rassismus ist inzwischen in der Gesellschaft angekommen – zumindest ist er für viele Menschen kein Fremdwort mehr. Diese Entwicklungen müssen wir nutzen, um ein allgemeines Bewusstsein zu schaffen und rassistische und diskriminierende Strukturen zu erkennen und sie zu ändern. Da es sich bei strukturellem Rassismus nicht um offen rassistische Äußerungen handelt, ist es an dieser Stelle nicht mit Demonstrationen gegen Rassismus getan – vielmehr geht es darum, einen Dialog zu schaffen zwischen Betroffenen und denjenigen, die von rassistischen Strukturen profitieren.
Diskussion & Definition
Um strukturellem Rassismus entgegenzutreten, brauchte es klare Definitionen. Die abstrakten Strukturen des Begriffs machen es nicht einfacher, Verbesserungen zu erwirken. Auch in der Bundesregierung scheint noch eine klare Definition von strukturellem Rassismus zu fehlen, nach der gehandelt werden kann. Entsprechend wichtig ist es, über dieses Thema zu diskutieren, es in das Bewusstsein der Menschen zu bringen und an klaren Definitionen zu arbeiten. Nur so ist es möglich, strukturell diskriminierende Probleme aus der Welt bzw. aus Deutschland herauszuschaffen.
Strukturen hinterfragen
Damit wir strukturelle Diskriminierungen erkennen können, müssen wir unseren Horizont erweitern. Wir müssen unsere bestehenden Strukturen hinterfragen. Warum geht es in Schulbüchern in der Regel nur um stereotype, weiße, christliche, deutsche Kinder? Warum finden wir im Studium kaum Publikationen von außereuropäischen oder nicht-US-amerikanischen Wissenschaftler*innen? Warum sind es in der Corona-Pandemie zu großen Teilen muslimische Mitbürger*innen, die in die Krankenhäuser eingeliefert wurden? Über solche Fragen können wir zumindest damit beginnen, die Fehler in unserem System zu finden und einen Ansatz für Verbesserungen im System entwickeln. Dass das nicht von heute auf morgen möglich ist, ist logisch. Dennoch ist es ein Anfang und ein Weg, den wir zu bauen beginnen können.
Betroffene anhören
Allen voran geht es in der Bekämpfung des strukturellen Rassismus natürlich um das Empfinden der Betroffenen. In welchen Lebensbereichen fühlen Schwarze sich gegenüber Weißen benachteiligt? In welchen Situationen sehen sich Muslime gegenüber Christen benachteiligt? Sorgen und Erfahrungen aller Menschen müssen angehört und ernst genommen werden. Je öfter und je lauter Stimmen an den richtigen Stellen ankommen, desto wahrscheinlicher ist es, dass endlich ein Umdenken stattfindet, das sich Rassismus entgegenstellt.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) - oder Antidiskriminierungsgesetz
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz soll "Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern und beseitigen." - Es ist ein deutsches Bundesgesetz und soll verhindern, dass Diskriminierung passiert.
Eine Aufgabe für jede*n Einzelne*n: Bewusstsein schaffen und Rassismus erkennen
Während auch die Dinge, die wir strukturellem Rassismus und Diskriminierung entgegenbringen können, eher abstrakt sind, gibt es auch etwas, was jede*r Einzelne ganz konkret tun kann. Wir alle können etwas dafür tun, ein Bewusstsein in der Gesellschaft zu schaffen. Dabei geht es nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen und „struktureller Rassismus!“ zu rufen. Vielmehr geht es darum, auch uns selbst und die Strukturen, in denen wir leben, zu hinterfragen. Je mehr Menschen den strukturellen Rassismus erkennen und nicht die Augen davor verschließen, desto eher ist es möglich, die Strukturen zu verändern und alle Menschen gleichsam zu integrieren.
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